Wenn Philosophen über Bewusstsein sprechen, dann häufig mit ehrfürchtiger Miene, als hätte man ein Mysterium vor sich, das sich der Erklärung entzieht. Ein Paradebeispiel ist Thomas Nagels berühmte Frage: „What is it like to be a bat?“ – Wie ist es, eine Fledermaus zu sein?
Die Frage hat Gewicht, weil sie scheinbar aufzeigt, dass es einen Bereich des Erlebens gibt, der uns objektiv unzugänglich bleibt. Eine Fledermaus erfährt die Welt über Echoortung, und wir können uns kaum vorstellen, wie sich das anfühlt. Und doch: Ist das wirklich ein Argument gegen eine mögliche Erklärung bzw. Verortung des Bewusstseins?
Die Falle der Qualia
Viele Philosophen glauben an sogenannte Qualia – subjektive, nicht weiter reduzierbare Erlebnisinhalte. Dass es „sich anfühlt“ wie etwas. Zum Beispiel fühlen sich Schmerzen schmerzhaft an. Doch was, wenn genau das der Denkfehler ist, dass Sprache Semantik erzeugt, weil sie selbst darauf angewiesen ist?
Meine These ist: Die Rede von Qualia ist kein Befund, sondern ein semantischer Irrtum. Wer nach dem Was des Wie fragt, stellt eine grammatisch falsche Frage. Bewusstsein ist kein inneres „Ding“. Es ist nichts, das „in uns“ sitzt, das sich stoßen, verschieben oder sonstwie kategorisieren lässt. Es ist schlichtweg das, was sich in der Interaktion mit der Welt ausdrückt, nicht als ihre Ursache, sondern als eine Mannigfaltigkeit an Phänomenen.
Das Problem mit Nagels Fledermaus
Nagel meint, dass wir niemals wissen können, wie es ist, eine Fledermaus zu sein. Doch diese Behauptung gründet nicht in einem Zugang zum Bewusstsein der Fledermaus, sondern in unserer Beschreibung ihres Verhaltens. Er schließt aus der Verschiedenheit der Sinne und Lebensweise auf eine ontologische Andersartigkeit. Aber das ist eine Projektion.
Wenn Bewusstsein immer nur für das Wesen selbst zugänglich ist, wenn es also immer subjektiv und immer vollständig realisiert ist, dann kann es gar keinen qualitativen Unterschied geben. Dann fühlt sich das Bewusstsein der Fledermaus für sie genauso an wie unseres für uns, nämlich einfach „wie es ist“. Und dieses „wie es ist“ erfahren wir interaktiv.
Bewusstsein als Funktion, nicht als Substanz
Statt nach mysteriösen Bewusstseinszuständen zu suchen, sollten wir Bewusstsein als funktionales Kontinuum begreifen. Es ist keine Substanz, kein räumlich abgrenzbarer Zustand, sondern ein durch Zeit und Identität hindurch konstituiertes Geschehen.
Derek Parfits Idee der Relation R zeigt: Identität ist nicht etwas, das wir haben, sondern das sich aus psychologischer Kontinuität ergibt. Analog dazu schlage ich eine vor, Bewusstsein anhand praktischer Interaktionskriterien zu erkennen: Bewegung, Reaktion, Sprache, Intentionalität, Orientierung, Zielgerichtetheit, Leiden, Sorge.
Solche Zuschreibungen sind keine Beweise für das Vorhandensein eines inneren „Bewusstseinsdings“, sondern für die Funktionen eines Systems, das sich wie ein bewusstes verhält.
Gegen den metaphysischen Fehlschluss
Der Glaube, es müsse hinter dem Erleben noch etwas Tieferes, etwas „wirklich Inneres“ geben, ist ein metaphysischer Fehlschluss. Wir projizieren Eigenschaften in das Bewusstsein hinein, weil unsere Sprache es erlaubt. Aber daraus folgt nicht, dass diese Entitäten auch real sind. Wenn wir Qualia eliminieren, nicht im Sinne eines Leugnens von Erleben, sondern im Sinne eines Aufräumens mit falschen Begriffen, bleibt immer noch genug übrig: ein Konzept von Bewusstsein, das nicht definiert, sondern erlebt und erfahren werden will. Und was wir erleben und erfahren ist das Mannigfaltige, aber nicht Ontologische.
Fazit: Bewusstsein ohne Mythos
Bewusstsein ist kein verborgener Schatz im Inneren, keine geheime Substanz, die sich dem Zugriff entzieht. Es ist keine Qualität, sondern ein dynamischer Prozess, der sich in Interaktionen zeigt, im Verhalten, in der Art, wie ein Wesen in der Welt steht und sich darin orientiert und zurechtfindet. Der Glaube an eine schwer fassbare, ontologisch eigenständige Innenwelt beruht auf begrifflichen Missverständnissen und sprachlichen Täuschungen.
Wenn wir beschreiben, wie sich ein Zustand „anfühlt“, dann beschreiben wir nichts, das unabhängig von dieser Beschreibung existiert. Das Erleben ist nicht die Ursache, sondern die Folge der Unterscheidung. Wir müssen nicht mehr suchen, „was“ Bewusstsein ist, sondern verstehen, wie wir überhaupt dazu kommen, es jemandem oder etwas zuzuschreiben. Nicht das Innere entscheidet, sondern die Relation zur Welt, und dazu brauchen auch wir die Erfahrung.
Statt das Bewusstsein zu mystifizieren, können wir es als Ausdruck einer gelebten Identität in der Zeit begreifen, nicht abgeschlossen und isoliert, sondern offen, relational, kontinuierlich und unglaublich mannigfaltig. Und gerade dadurch, dass wir es nicht festhalten u d begreifen können, sondern nur im Vollzug erkennen, wird es uns fassbar. Kein Mythos, keine Entität, sondern eine offene, vielleicht eines Tages beschreibbare, chaotische und freie Mannigfaltigkeit.
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